Abweichung von der vereinbarten Laufleistung kann Sachmangel sein

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht,Beschluss vom 27.04.2012 – 5 W 16/12

1. Die Abweichung zwischen der vereinbarten Laufleistung (158.000 km) und der tatsächlichen Laufleistung (über 300.000 km) stellt einen nicht unerheblichen Sachmangel dar.

2. Die Kilometerangabe im Kaufvertrag unter der Rubrik „Fahrzeugangaben“ ist aus der maßgeblichen Sicht des Käufers nicht als bloße Wiedergabe des Tachostandes, sondern als Angabe der tatsächlichen Laufleistung im Sinne einer einfachen Beschaffenheitsvereinbarung zu verstehen.

3. Bei einer „einfachen“ Beschaffenheitsvereinbarung gilt der pauschale vertragliche Ausschluss der Sachmängelgewährleistung nicht.

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 14. April 2012 gegen den Kostenbeschluss des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck vom 20. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für die Festsetzung der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 2.000,00 € festgesetzt.


Gründe

1

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten zu 3/4 auferlegt und die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben, weil der Beklagte bei Fortführung des Verfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich unterlegen gewesen wäre (§ 91 a ZPO). Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung sowie die Nichtabhilfeentscheidung vom 16. April 2012 wird vollumfänglich Bezug genommen.

2

Der Kläger wäre gemäß § 437 Nr. 2 Alt. 1 BGB mit hoher Wahrscheinlichkeit berechtigt gewesen, vom Kaufvertrag zurückzutreten, weil das gekaufte Fahrzeug mangelhaft war. Die Abweichung zwischen der vereinbarten Laufleistung von 158.000 km und der (wahrscheinlich) tatsächlichen Laufleistung (über 300.000 km) stellt einen Sachmangel dar (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB), der nicht unerheblich ist (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB).

3

Grundlage des Kaufvertrags vom 23. März 2011 (Anlage K 1, Bl. 6 GA) ist die angegebene Laufleistung des Fahrzeugs von 158.000 km. Der Beklagte hat ausdrücklich im Vertrag unter „Fahrzeugangaben“ den Kilometer-Stand mit 158.000 km angegeben. Eine solche Kilometerangabe ist aus der maßgeblichen Sicht eines Kaufinteressenten nicht als bloße Wiedergabe des Tachometerstands, sondern als Angabe der Laufleistung zu verstehen (BGH vom 29. November 2006, VIII ZR 92/06, WM 2007, 616-620 = NJW 2007, 1346-1350, veröffentlicht in juris Rz. 15). Für den Kaufwilligen kommt es – wie allgemein bekannt ist – nicht auf den Tachometerstand, sondern auf die Laufleistung an. Er kann und darf daher davon ausgehen, dass eine ohne Einschränkung oder deutlichen gegenteiligen Hinweis gemachte Kilometerangabe sich auf die für ihn entscheidende Laufleistung des Fahrzeugs bezieht (BGH, a. a. O., m. w. N.).

4

Auf die Frage, ob es sich bei den Angaben zur Laufleistung um eine Beschaffenheitsgarantie (§§ 443 Abs. 1 1. Alt., 444 BGB) handelt, kommt es nicht an. Selbst wenn man hier nur von einer „einfachen“ Beschaffenheitszusage/-vereinbarung ausgeht, gilt der pauschale Ausschluss der Sachmängelhaftung nicht für das Fehlen der vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB), sondern nur für solche Mängel, die darin bestehen, dass die Sache sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte bzw. die gewöhnliche Verwendung eignet und keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB; vgl. BGH, a. a. O., veröffentlicht in juris Rz. 31; OLG Hamm, Urteil vom 12. Mai 2009, NJW-RR 2009, 1718-1720, veröffentlicht in juris Rz. 33). Deshalb haftet der Beklagte für die Angabe der Laufleistung im Kaufvertrag im Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung.

5

Es besteht eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger bei Fortführung des Verfahrens auch der Beweis gelungen wäre, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Kaufs tatsächlich eine wesentlich höhere Laufleistung (über 300.000 km) als im Vertrag angegeben hatte (u.a. HU-Bericht Dekra vom 17.4.2007, Anlage K2; Zeugnis der Voreigentümer …). Soweit der Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug mit Vertrag vom 13. Februar 2011 (Anlage B 2, Bl. 26 GA) vom Vorbesitzer, dem Zeugen … (Bl. 21 GA), erworben hat, ist dort nur der Tachometerstand wiedergegeben, denn in dem Vertrag heißt es ausdrücklich: „Kilometerstand laut Tacho: 157.000“ (Bl. 26 GA). Nach dem eindeutigen Wortlaut handelt es sich damit lediglich um die bloße Wiedergabe des Tachometerstands und damit um kein Indiz, dass der o.g. Behauptung des Klägers entgegensteht.

6

Demnach ist die sofortige Beschwerde des Beklagten unbegründet.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

8

Die Wertfestsetzung folgt aus § 3 ZPO (= Kosteninteresse wegen übereinstimmender Erledigungserklärung) i. V. m. KV 1810 der Anlage 1 GKG (Festgebühr) und im Hinblick auf die Rechtsanwaltsvergütung aus §§ 2 ff. RVG, Vergütungsverzeichnis 3500 der Anlage 1 zum RVG.

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